Freitag, 1. Mai 2015

Corpsschießen 2015


Es ist der erste Mai 2015, irgendwo im Süden der Stadt Neuss. Die Sonne brennt vom Himmel. High-Noon. In einem kleinen Tal mit Namen „The disc-embankment“  oder wie die Einheimischen sagten „Der Scheibendamm“. Eigentlich ein von der Lust verlassener Ort. Doch nicht heute. Heute ist Duell. Heute ist Corpsschießen.


Es ist voll. Als erstes Fallen die vielen (Draht-) Esel in der Nähe des Tals auf. Es müssen Tausende sein. Auch alle möglichen ebenen Plätze für die Kutschen sind belegt. Wir nähern uns mit sechs Mann und einer Frau. Es ist meine Gang, die Daltons northern ligths. Abgekochte Hunde, durch und durch. Da ist „Try-it-again“ Marco, heute zum ersten Mal dabei. Ich weiß nicht wie er die Szene aufnimmt, denn sein Gesicht bleibt so hart wie er selbst. An seiner Seite Marc „the living stand“. Was für ein Tier, was für ein Recke, ein Mann mit Aussicht. Aber er war gestern noch lange im Saloon, man sieht ihm an: Er leidet. Und dennoch ist er gekommen, gut so, wir werden jeden Mann brauchen. Neben ihm Hans „Chef of Hell’s Kitchen“. Er hat unsere Flinte dabei. Diese wird uns heute noch gute Dienste leisten. Dann ist da noch Simon. Simon „is Simon is Simon is Simon“ Simon! Unser Schießmeister. Hat ein ruhiges Händchen an der Waffe, wenn er sein Nikotin hat. Hat den Rest im Umgang mit der Waffe bekannt gemacht. Wir werden sehen ob es reicht… Hinter ihm Matthias und Nina. Unsere „Bonny & Clyde“. Dies hier ist eigentlich kein Platz für eine Frau, die nicht an den Tischen des Saloons kellnert. Aber Nina hat die Waffen der Frau dabei und Matthias wird gut auf sie aufpassen. 

Wir steigen also ins Tal hinab. Sünde, wo man nur hinsieht. Kartenspiel, Geschicklichkeitsspiel um Geld (sog. Kicker), Alkohol und vorschnelle Ballkartenbestellungen. Stünde nicht unsere Ehre auf dem Spiel, würden wir diesen Ort meiden. Simon drückt seine Zigarette mit dem Stiefel aus und geht in das Haus, wo die Anmeldung abläuft. Wir entdecken inzwischen ein paar alte Bekannte. Man ist höflich, zumindest der Respekt bleibt hier nicht auf der Strecke. Aber es hängt auch Rivalität in der Luft. So will es die Tradition. Wettkampf der Schützen. Während wir uns den Avancen einer der Barmädchen erwehren, die uns doch tatsächlich Alkohol verkaufen möchte, kommt Simon zurück. Er kneift die Augen gegen die grelle Frühlingssonne zusammen. „Es ist gleich soweit, macht euch fertig!“ Und tatsächlich sind bereits Schüsse zu hören. Kaliber 5,6 mm; ca. 20 Meter von unserer Position aus entfernt. Wir stürmen das Gebäude.  Im Inneren ist ein großer Raum. Ich hechte zu dem Tisch hinter dem die Marshalls dieses Countys, pardon Corps, sich befanden. „Ich will zum Sheriff“ sage ich. Ein Nicken nach Vorne, da wo die Schüsse her kamen. Sheriff Ingo war also mitten im Pulverdampf. Ein Zeichen zur Gang und wir durchqueren den Raum, bislang alle unbeschadet. Als erstes verschwanden hinter der Tür, die zum „Stand“ führte, Matthias, Simon und Marc. Doch es war zu eng, der Rest von uns konnte nur Zusehen, wie sie immer wieder die Flinten anlegten und schossen. Als ihnen die Munition ausging, kamen sie zurück. Simon hatte sein scharfes Auge bewiesen und 28 der „Ringe“ das Fürchten gelehrt. Mit nur Fünf Patronen. Auf 50 Meter. Marco, Hans und ich nun an der Reihe. „Gebt ihnen den Rest!“, rief uns Simon hinterher. Schon flogen mir die Kugeln um die Ohren. Ich schnappte mir ein Gewehr und legte an. Da, 50 m vor mir, entdeckte ich 10 Ringe. Und es wurden immer mehr. Nachdem ich den ersten Schuss abgegeben hatte, kamen sie fast auf einen Meter nah ran, auch wenn Acht ihrer Kameraden das Anrücken nicht überlebt hatten und durch mein Feuer gefallen waren. Doch statt unsere Stellung zu stürmen, flohen sie wieder in die Distanz. Auch nach einem zweiten Schuss versuchten sie einen Sturm, doch der Mut verließ sie erneut. Ich setzte noch drei Schuss ab und am Ende lagen 26 Ringe tot vor mir, ein Massaker. Zurück ins Haus. Besprechung mit der Gang. Keiner hatte was abgekriegt, aber wir waren nicht wirklich in Form. Andere würden mehr Abgeschossen haben. Diese Ringe. Es war so Sinnlos. All das Papier.

Wir wollten uns gerade zu einem Getränk niederlassen, als ein erneuter Angriff kam. „Die Leader zu mir“, so der Sheriff. Hans und ich, in der Nähe der Tür, direkt hin. „Sie versuchen es erneut, aber über den kurzen Weg“. Das ergab keinen Sinn. 10m Distanz. Das war Nahkampf. Aber Hans war vorbereitet. Er packte unsere gute „Air Rifle“ aus. Mit geübten Griffen, nicht zu hastig, baute er sie auf. Ein schönes Stück Wertarbeit. Er versuchte sein Glück. War es der Wind? War es der nahende Feind? Eher unwahrscheinlich. Hans hatte schon oft im Nahkampf gestanden und schon so manchen Ring mit dem Gewehr erschlagen. Ja. Erschlagen! Immerhin fast die Hälfte der widerlichen kleinen Kreise lag am Boden. Er gab mir „Ragnarök“ in die Hand. Sie fühlte sich gut an. Sie war schon warmgeschossen. Ich drückte sie an meine Schulter, so wie sie es gern hatte. Fest. Ein Holzpfosten in meiner Nähe kam mir gerade Recht. Mit der Flanke drückte ich sie dagegen. Ich sah ihr tief in die Optik und sah, auf einem hohen Grad, Ringe. Es waren unzählige. Und sie waren nah. Mindestens 50. Einatmen. Zielen, mit dem Finger zärtlich den Abzug liebkosen. Den Gegner fest im Blick haben. Den Schuss lösen. Feuer. Ausatmen. Zehn Ringe tot. Sie kommen näher. Nachladen. Auf dieser Distanz ist die Air Rifle unschlagbar. Geringer Rückschlag paart sich hier unheilig mit einfacher Handhabbarkeit. Schon ist der Lauf geladen und ich visiere erneut. Feuer. Neun weniger. Verdammt, Einer konnte in Deckung springen. Die Zeit scheint sich zu dehnen. Ich schieße noch drei Mal. Am Ende werden nur noch zwei Ringe stehen. Sie schauen einander mit ihren kalten, runden Kreisen an und fliehen zur Auswertung. Vielleicht ist es gut, dass sie überlebt haben. Vielleicht richten sie in Ringland aus, dass der Scheibendamm nicht leicht zu haben ist. Weil hier tapfere Männer stehen.

Unsere Arbeit hier ist getan. Wir ziehen ab. Wir sind froh, mit heiler Haut nach Hause zu kommen. Eine ungute Vorahnung trübt die Stimmung. Die Ringe sind noch immer zurückgekehrt, egal wie hoch ihre Verluste waren. Aber auch wir werden wieder kommen, wenn Corpsschießen ist.


Patrick „the typewriter“ Bongartz

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen