Dienstag, 1. März 2011

Uniformen und Marschieren

Eine Einladung an etwas Außergewöhnlichem teilzuhaben
Von und mit Patrick Bongartz

Soweit der hochtrabende Titel, jetzt was dahinter steht. Es war ein Schützenkamerad aus unserem frisch gegründeten Zug, der mich hierzu inspirierte. Mit seiner Aussage, sich nicht mit Uniformen identifizieren zu können und nichts dabei zu finden sie zu tragen, (gemeint ist, keinen Beweggrund dafür zu finden) hat er mich auf das Thema gebracht. Zunächst einmal habe ich selber über dieses, ich will es mal "Phänomen" nennen, nachgedacht. Da verkleiden sich doch Ende August jedes Jahr in Neuss ca. 6800 Männer, und musizierende Frauen um vor gut 1,5 Millionen Besuchern und einem König auf und ab zu laufen. Warum? Liegt uns das als Deutschen in den Genen? Hat seit Urzeiten ein Gendefekt dafür gesorgt, dass wir gerne "stramm stehen", wenn ein Kaiser, König oder Diktator (egal ob roter oder brauner Gesinnung) vorbeiläuft? Wohl kaum - dies ist doch auch in anderen Ländern der Fall gewesen. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt wohl, dass das Marschieren und die Uniformen uns Deutsche steht’s begleitet hat.
Angefangen hat es wohl mit dem Königreich Preußen im Osten der heutigen BRD. Als kleinstes der großen Königreiche von den großen Nachbarn Österreich-Ungarn, Polen-Litauen, Russland und Frankreich von der Existenz bedroht, erließ der König Friedrich Wilhelm I. so manches Gesetz, das zu einer großen Militarisierung der Bevölkerung trug. Dies ging auch bei seinen Nachfolgern so weit, dass man in Berlin mancher Tage mehr Uniformen als Anzüge sah, die Leute trugen ihre von der Regierung "gesponserten" Kleidungsstücke auf, auch wenn sie nicht mehr dienten. Dies ging viele Jahre mal mehr, mal weniger gut. Preußen wurde die Großmacht in Kontinentaleuropa, zwischenzeitlich von einem kleinem Korsen überfallen, bis die großen Weltkriege losbrachen und mit ihnen der Nationalismus. Hier wurde, und das trifft natürlich besonders auf das Naziregime zu, diese Wehrhaftigkeit überhöht und als Lebenszweck gepriesen. Man nannte sich unbesiegbar und musste zweimal einsehen, dass dies nicht der Fall ist. Was aber uns hier dran interessiert ist der Zusammenhang mit dem Schützenfest. Die Nazis selbst fanden es zu Beginn wohl ganz gut, dass man in Neuss schon so viele Leute beisammen hatte, die das militärische Auftreten wohl ganz gut fanden. Doch weit gefehlt: in den Waffenattrappen stecken Blumen, Priester stehen am Straßenrand und winken den Marschierenden zu; viele Schützen tragen Votivbilder von Heiligen auf ihren Fahnen. Nicht nur hierrüber kam es zum Streit zwischen dem Regime und den Schützen, die ihre Tradition bis 1939 verteidigten. In diesem Jahr wurden so viele Schützen eingezogen, dass nicht mehr genug übrig waren, um einen Umzug zu gestalten. Und es ist auch Schuld der Nazis, dass in Deutschland seitdem einem Uniformträger allzu oft Ablehnung entgegengebracht wird. Manch einer vermutet dahinter gewissermaßen einen Faschisten im Frack. Doch das Gegenteil ist der Fall: Jahr für Jahr kommen (immer mehr) Menschen aus der ganzen Welt nach Neuss, um entweder aktiv bei uns mitzulaufen oder sich das Spektakel vom Rand anzusehen. Kaum ein Zug, indem nicht mindestens einer Immigrationshintergrund hat oder im Ausland lebt. Die Schützen repräsentieren die Gesellschaft, denn sie kommen aus ihrer Mitte. Egal ob gut betucht oder Hartz IV. Beim Schützenfest laufen alle mit. Aber das fällt nicht wirklich auf, warum eigentlich? Es liegt dann doch an der Uniform, die hier ihren Vorteil ausspielt. Denn in einer Uniform sehen alle uni form aus. Also von gleicher Erscheinung. Jetzt mag dem ein oder anderen geschulten Auge natürlich Qualitätsunterschiede auffallen, doch von außen, also vom Straßenrand, repräsentieren sie eine Einheit. Man symbolisiert mit seiner Kleidung: "Wir gehören dazu", "Wir gehören zusammen". Jedes Korps und jeder Spielmannszug hat seine eigne Uniform, mal traditionsreich, wie die Jäger, mal aus praktischen Überlegungen heraus entstanden, wie bei den Grenadieren. Ein jeder Schütze ist stolz auf seine Uniform, entweder weil er eine im Verleih "erkämpft" hat, oder sich eine private zugelegt hat. Nicht zu vergessen auch die Uniformzier, die jede Uniform individualisiert. Sei es durch (Rang-) Abzeichen, durch charakteristische Pins (AIDS- Schleife, Gitarren- Pin etc.) oder durch gesammelte (Königs-) Orden. Fast immer entdeckt man während der Schützenfesttage Bekannte, die irgendwo auch in einem Zug sind. Dann kommt es oft zu einem Pin-Tausch, dies bedeutet, die Zugnadeln werden getauscht, um anzuzeigen, dass man sich kennt und schätzt. Freundschaft über die Zug- und Korpsgrenzen hinaus. Das Erscheinungsbild ist eine Respektsbekundung gegenüber den Kameraden und unserem Publikum am Straßenrand, das, wie schon gesagt, oft von weit her kommt, um sich die Züge anzusehen. Es ist das kollektive Präsentieren von Stolz für die Vaterstadt, ein Bekenntnis und Einreihen an eine jahrhunderte alte Tradition. Es ist ein Stück eines sehr kostbaren kulturellen Schatzes, der älter ist als jedes Regime in Deutschland und von diesen nicht vergewaltigt und dienstbar gemacht wurde. Dass Bürger sich zusammentun, in freier und gleicher Wahl (egal, wie dick die Geldbörse ist), ihre Vorsitzenden und Interessenvertreter wählen, ob auf Zug-, Korps- oder Regimentsebene, politische und soziale Missstände anprangern, z.B. mit den Motivfackeln beim Fackelzug, oder der Rede des Oberst an Oberstehrenabend, ist Teil der souveränen Selbstauffassung jedes Bürgers und wichtiges Zeugnis für die Grundlage unserer staatlichen Demokratie. Ich schreibe das, weil ich glaube, dass das vielen nicht wirklich klar ist und ohne Schützenfesterfahrung diese Veranstaltung zu leicht als uniformiertes Saufgelage ab tun. Doch das Schützenfest feiert seine Werte: Gemeinsam für etwas einstehen, Begegnungen auf Augenhöhe trotz religiöser oder ökonomischer Unterschiede, der Stolz in einer Stadt zu leben, indem mehr als 6800 Menschen freiwillig diese Ideen leben, und dem mit ihrem Engagement dienen. Zu hoch gegriffen? Es geht doch nur um Schützenfest? Ich denke nicht. Man muss sich dem nur mal bewusst werden, was man da eigentlich macht. Dass sich bislang jedes Jahr ein Schütze gefunden hat, der König sein wollte (das ist nicht selbstverständlich bei dem finanziellen Aufwand) und der dem Schützenfest und der Heimatstadt ein teures Geschenk hinterlässt, bloß zu dessen Zier, besitzt an sich schon viel Aussagekraft. Noch etwas soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden: Der ökonomische Faktor für die Betriebe vor Ort. Das Schützenfest ist ein riesiger finanzieller Gewinn für die ganze Stadt. Die Damen und Mädchen, die uns Schützen und Musikanten Blumen kaufen, die Kinder die auf dem Rummelplatz die Büchsen knallen lassen, die Frauen, die sich neue Kleider für die Bälle holen, und die Männer. Die Männer! Die Männer, die so manchen ersparten Cent in neue Ausrüstung oder das ein oder andere Kaltgetränk investieren. Alle Sparkassen und Banken lassen aus dem ganzen Umland für die Kirmestage Bargeld zu sich bringen, da die eigenen Bestände nicht reichen. Viele Gastronomiebetriebe nehmen 1/3 ihres Gewinns über das dritte Wochenende im August ein. Aber zurück zum Thema. Wozu sich persönlich einreihen, ein Kostüm/Tracht/Uniform überstreifen und sich den ganzen Tag von Marschmusik beschallen lassen? Kann man das Wochenende nicht schöner verbringen? Ich behaupte nein. Sonst würden nicht so viele aus der Welt hergereist kommen, so viele die Hotels hier und im Umland ausbuchen. Aber was macht es denn nun aus? Ich denke es ist zunächst das gemeinsame Unterwegs sein, mit seinen Freunden, mit seinen Bekannten, mit Gleichgesinnten, die ein ganz besonderes Wochenende im Jahr erleben wollen. Es erhält seine Festlichkeit erst durch das ganze Brimborium drum herum. Das Fertigmachen der Uniform, deren Ankleide am Sonntagmorgen, sich bei Freunden zu treffen, die ebenfalls alle mitmachen aus dem Gedanken heraus: "Wir machen das zusammen, weil es nur zusammen Freude macht!". Man kann es sich schlecht bis gar nicht vorstellen, wenn man es nie miterlebt hat. Ich selbst hatte auch keine kirmesverrückten Eltern. Es war mir irgendwie immer egal. Bis ich auf Sebi, Peter und Patrick traf, inzwischen gute Freunde die mich mitgenommen haben. Ich ließ alles auf mich zukommen, der Zug war gut vorbereitet, routiniert in jeder Facette, die Aufgaben klar verteilt. Alles was ich zu tun hatte, war mir eine Uniform zu besorgen, und auch da wurde ich auf die richtigen Pfade gewiesen. Hier sei dem FT 64 dafür einmal der Dank ausgesprochen.
Ich schätzte schon vor dem August das monatliche Treffen, weil man viele Leute traf, die man im Alltag sonst nicht sah. Natürlich kann man sich immer spontan verabreden, aber ist es nicht doch bequemer, wenn man einen festen Termin hat, an dem (meistens) alle können? Ich weiß, manche Treffen sind zuweilen nicht grade kurzweilig, doch das "schlimmste" an Planung hat man doch rasch hinter sich, wenn man sich dransetzt, so als neuer Zug. Jetzt kann man das Schützenfest auf sich zukommen lassen. Und dann brauchen wir nur noch Neuss feiern. Wenn dann einer sagt: "ich kann damit nichts anfangen", "Uniformen sagen mir nicht zu" etc. wäre ich zwar überrascht, weil es nicht um die Uniform geht, oder um das Marschieren, sondern um eine (wenn gleich aufwendige) gemeinsame Aktion. Es ist, das wollen wir nicht ausklammern, ein gewisser Aufwand (finanziell als auch logistisch) nötig, um alles 100% hin zu bekommen. Aber wir im Rheinland können auch fünf grade sein lassen (wir sind ja nicht preußischer als die Preußen), und wenn dann alle zusammen sind, ist das ein herrliches Gefühl, in gewisser Weise ein organisatorischer Ritterschlag für diejenigen unter uns, die keine große Rückendeckung in der Familie haben. Aber keine Angst! Mancher von uns regelt seit Jahren immer alles selber, was zu seinem Kram gehört und es ist so manchem Spieß nicht gelungen mehr als nur Kleinigkeiten zu finden.
Lasst euch vom Schützenfestvirus infizieren, er ist nicht pathogen, sondern vitalisierend!
An dieser Stelle möchte ich Danke sagen an meine Zugkameraden Hans, der mich von Anfang an unterstützt hat, an Patrick Arnold und Peter für die Arbeit die sie uns schenken und die Zeit , die sie opfern, an Sebi für die persönliche Treue und an meinen Vater, der an meine Idee glaubt, dass man eine gute Sache noch besser machen kann. Ich bedanke mich auch bei Paulo, der mir gezeigt hat, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Ein großes Danke geht an den "Rest" der richtig frisch dabei ist: Wir haben hier die Möglichkeit etwas sehr Schönes zu gestalten, nach unserem aller Willen, dass, wenn die Zukunft uns gewogen ist, Bestand haben wird und wir viele Jahre Freude dran haben werden. Ihr lasst mich manchen Morgen aufstehen mit einer ganz besonderen Vorfreude auf das dritte Wochenende jeden Monats und auf den August. Danke!

Mit den besten "Schützengrüßen":
Euer Olt Patrick

2 Kommentare:

  1. ... kann ich das alles nur unterstreichen!! Prima Einstellung, weiter so !!

    (sachl. Anm.: Am 3. Wochenende im August ist "JAA NIX!!!" Unser großes Fest ist immer an dem Wochenende mit dem letzten Sonntag im August)

    in vorschützenfestlicher Freude
    Thomas Loebelt OLt FT64

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  2. Stimmt natürlich! Damit es kein Missverständniss gibt: Ich freue mich (1.) auf die dritten Wochenenden, denn dann haben wir monatlich Versammlung und (2.) auf den gesamten August (der Monat der Wonne;) ). Schönen Gruß an den FT!

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